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Texte

Weit in die Zeit

Dieses 21. Jahrhundert liegt vor uns wie ein großes weißes Feld und will gestaltet sein, muss gestaltet werden, aber neue positive Visionen und Ideen sind nicht wirklich sichtbar, positive LangzeitPläne nicht wirklich erkennbar. Die Zukunft liegt vor uns und ist einfach nicht so wirklich klar, daher haben wir viele Ängste, treiben uns große Ängste existenzieller Art um, extrem unsichere und unruhige Zeiten, nimmt der finanzielle und ökonomische Faktor einen ungeheuren Platz ein – und auch einen viel zu großen, düstere Prophezeiungen und Bilder über den Weltuntergang, die damit congenial einhergehenden WeltRettungsVersuche, viele unsinnige Kriege, bewaffnete Konflikte sind entstanden aufgrund dieser Unsicherheit, dieser Unklarheit, verursacht uns diese Zukunft auch ein großes Unbehagen.

Dem allem wollen diese Pieces und Klangbilder auch entgegenwirken – eine Serie, die Ausdruck einer kraftvollen und positiven Bewegung ist, die Wucht und Gravitität des Jahres 2014 ff... darstellend, den tiefen Klang der Zeit zu Beginn dieses Jahrtausend, dieses 21. Jahrhunderts, eines tiefen Klanges weit in die Zeit, weit in die Gegenwart.

Obwohl viele Fragen offenbleiben, können wir, müssen wir, können wir, m ü s s e n wir aber auch aufbrechen zu neuen Ufern, zu ungeahnten Sphären, können wir v e r t r a u e n in den Strom der Zeiten, in das Große Ganze, in diese Bewegung, die wir zum Teil selbst auslösten, die von irgendwoher kam und irgendwohin geht, weiter und dennoch zurück und dann wieder weiter, aus dem Universum und wieder zurück dahin:

K r e i s f ö r m i g , S t u f e n f ö r m i g , S p i r a l f ö r m i g

weiter und:
WEIT IN DIE GEGENWART,
WEIT IN DIE ZEIT.

Lee Dagarciea


B e w e g u n g , L i c h t und T r a n s z e n d e n z

Zur künstlerischen Arbeit von Nicola Gastiger

Das Moment der Überraschung ist die entscheidende Kategorie im Werk der in Freiburg lebenden Künstlerin Nicola Gastiger. Formal dem Abstrakten Expressionismus verpflichtet, ist ihre Grafik, Fotografie und Objektkunst darauf aus, den Blick aufs Unvorhersehbare zu schärfen.

Nicola Gastigers Kunst will Mut machen zu einer zuversichtlichen Sicht auf die Welt. - Einer Welt, die sich nicht in vermeintlicher Banalität, in täglich neuen Bilderfluten und rein materiellen Erwägungen erschöpft, sondern für sie mehr als nur optische Wunder bereit hält: die Aura des Geheimnisses, eines sich immer wieder neu öffnenden Seins-Grundes. Heideggers Begriff der "Lichtung" ist ihr in diesem Zusammenhang wichtig, sowie die metaphysische Ebene. Es geht um jenes ereignishafte Schauen, das, auf formal höchst variable Weise, die Faszination vermittelt, welche das Leben für sie immer wieder und immer noch besitzt: " ... Ihr glücklichen Augen / Was je ihr gesehn / Es sei wie es wolle / Es war doch so schön!" (Goethe, Faust 2 "Lynkeus der Türmer").

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Breit gefächert ist das Spektrum von Gastigers Ausdrucksformen - von - teils ironischer und persiflierender - Objektkunst, über bildgebende Fotografie und Plakate bis zum abstrakten Aquarell , Malerei und zu druckgrafischen Techniken. Immer geht es ihr "um den faszinierenden Schwebezustand zwischen angedeuteter Realität und Abstraktion „ und des In-Betweens.

Die Bewegung zum "Licht" steht im Zentrum einer 2014 entstandenen 12-teiligen Serie von Fotoplakaten, deren durch konstruktive und bewegte Linien verbundene Motive sich jeder dinglichen Zuordnung entzieht. Am ehesten drängen sich planetarische Konstellationen auf. Das grafische Element der Jakobsleiter verbindet nicht ohne Augenzwinkern himmlische und irdische Sphäre. Diese Bilder transportieren also keineswegs die Vorstellung von kosmischer Leere, vielmehr übermitteln sie, dank ihrer sanften Belichtung, den Eindruck von Wärme und Geborgenheit. Die an verschiedenen Stellen aufscheinenden Lichtquellen bleiben ihrem Wesen nach zwar unbestimmt; die Künstlerin verrät uns aber, dass es sich u.a. um reflektierende oder "brennenden" Feuerschalen handelt. Ohne eine konkrete Botschaft zu formulieren, spricht die ins Bild projizierte Letternschrift von der Sehnsucht nach Geborgenheit und spiritueller Verwurzelung. Nach eigener Aussage handelt es sich um den Ausdruck von Bewusstseinszuständen, einer anderen Wirklichkeit ,aber auch der Kraft derselben , denen das geschriebene Wort zusätzlich Gewicht verleiht: "States of minds" Die Anmutung dieser formal überzeugenden Arbeiten ist jedoch stets vom schwebend-unbestimmtem Charakter.

In den Objekt-Arbeiten zeigt sich sowohl ein betont poetischer Ansatz ("Blauer Schmetterling beyond a world made out of Steel, 2012) wie auch eine starke persiflierende Neigung. Ist es hier die fluoreszierende Wirkung des Lichts auf geriffelten Leichtmetallplatten, drückt sich in der Objektsammlung "Jus-Mobile: das Rechts-Starter-Kit (inklusive Literaturliste für das JURA-Studium)" die kritische Distanz der Juristin zu ihrem alten Studienfach aus. Es handelt sich um eine zum Mobilee arrangierte Sammlung von studentischen Alltagsgegenständen zum S e l b st z u s a m m e n b a u e n : "Abschlussarbeiten" im ironischsten Sinne des Wortes - multifunktional und über das Internet für sämtliche Universitäten bestellbar. Auch der originelle "Paragraphen-spitzer" , das Spitzgerät mit Pfiff zielt in diese Richtung und soll zum Philosophieren und kritischen Nachdenken anregen!

Poetischer wird es im Werk : „ein offenes Spiel auf offener See", zu der sie ein blaues Stück gegerbtes Leder erklärt und dieses mit buntköpfigen Reisnägeln bespickt. Was aber bedeuten diese trigonometrischen Punkte? Leuchttürme, Schiffe, Bohrinseln? An was erinnern, was repräsentieren sie? Lassen sie etwa eine geheime Orientierung zu? Schon ist man gedanklich bei der Schatzinsel, sieht im Meer eine Karte, die Verheißungen birgt. Ihr Geheimnis, auch das des auf keinem Globus verzeichneten Meeres behält sie für sich - Ein Spiel mit Möglichkeiten - ein verstecktes Versprechen?

Das "graphische Klangbild II oder Kommunikation im Spannungsfeld der Macht des gesprochenen Worts" vereinigt in einer Assemblage das Malerische mit dem Dinglichen. Drähte spannen sich - von gemalten weißen Flecken zu einem segelhaften Papierobjekt. Das durch sie fliessende verbale Fluidum verleiht ihm vermeintlich Auftrieb. Die Sehnsucht nach gelungener, inspirierender Kommunikation macht sich in der Interaktion von violetter Farbe und der Präsenz der Formen kenntlich. In der stummen Sprache der Kunst, einer Sprache jenseits des Machtdiskurses.

Die besten fotografischen Arbeiten der Künstlerin überzeugen durch eine knappe, klare Bildsprache die auf meditativ-poetische Wirkung zielt. Da spannt der Freiburger Luisensteg mit seinem schmiedeeisernen Geländer eine starke Diagonale durch den Bildraum, bilden sich überraschend zarte Rautenmuster im fließenden Wasser eines Freiburger "Bächle". Orangene Ovale - Blätter auf dem Bachgrund - wirken wie Rhythmuszeichen. Aber was bedeutet schon "zielen", wenn die Orientierung dieser Bilder in der "Zen-Fotografie" liegt? Intendierte Absichtslosigkeit - das ist eigentlich ein Widerspruch, der sich am ehesten in der abstrakt bildgebenden Fotografie auflöst. Kein Wunder, dass Nicola Gastiger augenscheinlich genau dahin tendiert: Zur Auflösung räumlicher Koordinaten zugunsten grafisch anmutender Lichteffekte: Luzides Zeichnen!

Ihre farbintensiven Aquarelle und Leinwandarbeiten in Acryl bewegen sich zunächst im Rahmen der traditionellen Farbfeldmalerei. In vielen dieser Bilder geht es um die Akzentuierung quadratischer gelber Felder in Verbindung mit hellroten und grünen Farbspektren und einem teils überdeckten, teils transparent durchscheinenden schwarzen Raster, wobei die "peinture" die Geometrie klar dominiert.

Nicola Gastiger arbeitet stark seriell, eine Auswahl von zwölf Bildern hat sie zu einem "immer währenden Kalender" zusammen gestellt.
Ihre jüngsten Aquarelle von 2016 tendieren zu einer fließenden, strudelhafter Bewegung (Aquarellfries I) oder zur eher monochromen Bildwirkung (Aquarellfries II). Durchaus vielversprechend erscheint ihr in diversen Mischtechniken erprobtes Verfahren, Initiale und Schriftzeichen zu Kalenderblättern zu formieren. Ein wiederkehrendes Motiv ist das gemalte quadratische Fenster, das quasi einen Blick durch die wandhafte Farboberfläche suggeriert - etwa in den blauen Himmel. Verlebendigung und Entmaterialisierung der Farbe - dieses Fernziel braucht (noch) einen formalen Rahmen.Auf ihren Spraykompositionen und Aquarellen gewinnt spätestens 2014 dieser graphische Gestus deutlich die Überhand. "Flügel weiten", "Wurzeln fassen" - die Titel dieser Bilder benennen appellhaft die geistige Richtung jener dynamisch ausgreifenden Formen, die ein rhizomhaftes Wachstum (nach oben und unten) beschreiben.

Der Hang zum Prozessualen findet sich auch bei den frühen Holzschnitten, die in ihrer engen vierfarbigen Schraffur zunächst dem Prinzip des All-over folgen um sich dann der abstrakt-expressiven Figuration anzunähern. "Drachen wie Sehnsucht" heißt eine Serie von 2012 in der die verschiedenfarbigen Rautenformen sich allmählich konkretisieren. Die 12-teigige Holzschnittserie von 2013 mit dem beziehungsreich-offenen Titel "Der Blues ist in uns allen oder die Sehnsucht nach einer vergangenen Zeit" zieht ihren Reiz aus dem gekonnt austarierten Kontrast - zwischen Hell und Dunkel, geschlossener und offener Form, horizontal und vertikal angelegten Bildsegmenten. Drei Druckplatten, entsprechend drei Farben, sowie einige Collage-Elemente finden dabei Verwendung. Gastiger liebt die fliessende Bewegung vertikal gestaffelter, abgerundeter, in einander verschränkter schwarz-weißer Bildsegmente, die im harmonischen Zusammenspiel an schneebedeckte Landschaften erinnern, ohne dem Betrachter eine fixe Perspektive aufzuzwingen. Die Orientierung an naturhaften Formen ist jedenfalls evident. Gastigers weite Farbfeldlandschaften sind multiperspektivisch und von durchweg harmonischer Gesamtwirkung, wozu ein Hang zur Zentrierung durch vertikale schwarze Streifen- Erinnerungen an die traditionellen Repoussoirbäume? - in nicht geringem Maße beiträgt. Harte Brüche, grelle Kontraste werden indes vermieden.
Verlebendigend wirkt in diesem abstrakten Landschaftsgefüge ein halb geometrisches, ornamentalisiertes halbrundes Objekt mit Dreiecksauge. Ein organoides Wesen nicht ohne Komik - und mit verblüffender Vieldeutigkeit. Handelt es sich um einen scheibenartigen Kopf, ein menschliches Logo?
Ist es ein abstrakt verspielter Vogel nach Art von Paul Klees burlesker Zwitschermaschine? Handelt es sich etwa um einen Verweis auf Platons Beschreibung der menschlichen Idealgestalt als Kugelwesen in seinem "Symposion"? In der aus dieser Sicht folgenden "Lesart" erscheinen uns Gastigers zeichenhafte Figuren als quasi noch unfertige Geschöpfe - auf der Suche nach ihrer verlorenen anderen Hälfte. Diese findet sich mitunter am entgegengesetzten Bildrand, eine Begegnung aber findet nicht statt: Jede der Figuren blickt in eine andere Richtung.
Ohne einer psychologischen Deutung abstrakter Kompositionen zwingend das Wort zu reden, fungieren diese auf die Druckplatte collagierten Bildelemente als mögliche Platzhalter des Menschen: tastend, suchend, recherchierend - nach Wegen, Perspektiven, möglichen Blickrichtungen, im sich weitenden Bildraum. Ausschau haltend. Mitunter auch nach dem Gegenüber, der abhanden gekommenen Hälfte , einer anderen Wirklichkeit. Folgt man dieser Sichtweise, wird im Bild eine Freiheit postuliert, die nach immer neuer Selbstverortung und andauernder Neuorientierung verlangt. Im Spannungsfeld von formaler Harmonie und sanfter Verstörung bewegen sich diese Arbeiten von Nicola Gastiger.
Beachtlich ist ihr betont malerischer Charakter.

In einem 2015 entstandenen Zyklus nimmt sie die tiefenräumliche Wirkung ihrer abstrakt landschaftlichen Gefüge deutlich zurück, zu Gunsten von sich überlagernden glasscheibenhaften Quadraten, welche ihre binnenflächige Bewegung aus den Maserungslinien der Druckplatte beziehen. Hier deutet sich eine leichte Neigung zum Konstruktiven an, die durch lockere Verteilung und luzide Wirkung der verschiedenfarbigen Teile deutlich konterkariert wird. Vom streng konstruktiven Ansatz weiß sich die gelernte Grafikerin in ihren Holzschnitten jedoch ebenso weit entfernt, wie von jeder gegenständlichen Konkretion: "Zielsetzung meiner jüngeren Graphiken und Aquarelle ist es, aus einer Impression eine Expression werden zu lassen, die über sich hinausweisen sowie zur freien Assoziation und tiefer Meditation führen will..." Verinnerlichung durch Entmaterialisierung ist die erklärte letzte Absicht dieser sensitiven Kunst. Gastigers latente Neigung zum Ornamentalen verführt sie dabei keineswegs zum horror vacui. Vielmehr suchen ihre Bilder buchstäblich das Weite.
Sie wirken nie ausladend, sondern ausgewogen, vieldeutig und bewusst geheimnisvoll.

Dass der Reiz des Sublimen sich auch und vornehmlich der formalen Reduktion verdankt, diese Erkenntnis scheint die Künstlerin inzwischen verinnerlicht zu haben. Man darf gespannt sein, welche neuen Bildfindungen sie daraus noch schöpft.

Freiburg/Berlin , im Februar 2017

Stefan C. T o l k s d o r f
(Kulturjournalist)